Übersetzungseinheit und Übersetzung auf verschiedenen Ebenen des Sprachsystems

Das Anliegen Nummer eins für einen Sprachmittler-Praktiker bzw. einen Sprachmittler-Theoretiker besteht in der Auffindung einer minimalen Einheit im AS-Text, die zu über-setzen wäre. Diese Einheit nennt man die Übersetzungseinheit (von Roganowa auch Translem genannt).

Das Problem der Übersetzungseinheit ist eines der kompliziertesten in der Überset-zungstheorie. Es bestehen verschiedene Standpunkte in dieser Hinsicht. Hier vertreten wir den Standpunkt von Barchudarow: "Unter der Übersetzungseinheit verstehen wir solch eine Einheit des AS-Textes, für die man eine Entsprechung im ZS-Text finden kann. Ihre Be-standteile aber, einzeln genommen, verfügen über keine Entsprechungen im ZS-Text. Anders gesagt, ist das die minimalste Spracheinheit im AS-Text, die eine Entsprechung im ZS-Text hat. Sie kann eine komplizierte Struktur haben und aus noch kleineren AS-Text-Teilen bestehen, die aber einzeln genommen schwer übersetzbar sind. Diese Teile können aber im anderen Text ihre eigene, relativ selbstständige Bedeutung haben".

In der modernen Sprachwissenschaft unterscheidet man folgende Ebenen des Sprach-systems:

1. Ebene des Phonems (für die gesprochene Sprache)/Ebene des Graphems (für die geschriebene Sprache).

2. Ebene des Morphems.

3. Ebene des Wortes.

4. Ebene der Wortverbindungen.

5. Ebene der Sätze.

6. Ebene des Textes.

Daraus ist resultiert, dass als Übersetzungseinheit die Einheit einer beliebigen Ebene be-trachtet werden kann. Es kommt hier darauf an, mit welcher Ebene die Übersetzungs-einheit zu tun hat. Im Anschluss daran unterscheidet man die Übersetzung auf allen 6 Ebenen. Betrachten wir das einzeln genommen:

1. Übersetzung auf der ersten Ebene: Das Phonem/Graphem hat keine selbstständige Bedeutung. Es spielt in der Sprache eine sinnunterscheidende Rolle. In der Sprach-übersetzung kommt es aber vor, dass Phoneme bzw. Grapheme als Übersetzungs-einheiten auftreten. Solch eine Übersetzung nennt man die übersetzerische (oder praktische) Transkription bzw. die übersetzerische Transliteration: Diderot = Дидро (Transkrip-tion)/Дидерот (Transliteration); Weimar = Веймар. Die Übersetzung auf der Ebene der Phoneme /Grapheme unterscheidet sich von allen anderen Über-setzungsarten, weil die letzteren selbst keine Bedeutungsträger sind. Aus diesem Grund wird diese Über-setzungsart nur in beschränkten Maßstäben verwendet. Mehr oder weniger regelmäßig kommt sie bei der Wiedergabe der Eigennamen und geog-raphischer Benennungen vor. Sie wird auch bei der Wiedergabe von politischen und kulturellen Realien verwendet: кулак = der Kulake; der Streikbrecher = штрейк - брехер.

2. Das Morphem kann selten als eine Übersetzungseinheit auftreten. Einem Morphem des AS-Wortes kann ein bestimmtes Morphem in der ZS entsprechen: der Tisch – die Tische und стол – столы .

3. Die Übersetzung auf der Ebene der Wörter ist häufiger der Fall. Einem Wort der AS kann ein Wort der ZS entsprechen. Die Übersetzung auf dieser Ebene ist in ihrer Verwendung maßstäblich begrenzt. Nur ein Teil der Wörter hat bei der Übersetzung wörtliche Entsprechungen, während die anderen Wörter solche Entsprechungen nicht haben.

4. Die vierte Übersetzungsart ist bei der Übersetzung idiomatischer Verbindungen der Fall. Ihre Bedeutungen sind der Bedeutungssumme ihrer Bestandteile nicht gleich, meistens unmöglich ist die wortwörtliche Übersetzung solcher Wortgruppen, vgl.: an die falsche Adresse geraten – не на того напасть , получить поделом ; gesammelte Werke Puschkins – собрание сочинений Пушкина . Sie ist nur dann möglich, wenn die innere Form in AS und ZS übereinstimmt: Die Weidenflächen sind weit von der Farm entfernt. – Пастбища находятся далеко от фермы . Auf dieser Ebene über-setzt man nicht nur stehende Wortverbindungen, sondern auch eine freie, deren Be-deutung in der AS ganz aus der Summe der Bedeutungen ihrer Wortglieder resultiert.

5. Das ist der Fall, wenn die zu übersetzenden Sätze ihrer Bedeutung nach idiomatisch sind. Es geht z.B. um die Sprichwörter: Mein Name ist Hase, ich weiß von Nichts. – Знать не знаю и ведать не ведаю . Моё дело - сторона. Моя хата с краю ничего не знаю.; Viele Köche verderben den Brei.У семи нянек дитя без глазу. Es kommt vor, dass das Übersetzungsäquivalent erst auf der Ebene des Satzes festgestellt werden kann. Der ganze Satz tritt dann als Übersetzungseinheit auf. Auf dieser Ebene werden verschiedene Überschriften, Klischees, Formeln u.ä. übersetzt: к себе ( дверь ) – ziehen; от себя – drücken; Bitte, nicht einstei-gen! – Посадки нет ; Geschirr bitte hier abstellen. – Стол для грязной посуды ; Achtung! Ausfahrt! – Берегись автомобиля!.

6. Die Texte können auch eine Übersetzungseinheit bilden. Solch eine Erscheinung sei eine seltene, sei z.B. in der Poesie zu treffen.

 

 

Translatorische Transformationen

Der Begriff der Transformation erfuhr eine nicht eindeutige Anwendung. Er ist auch aufs engste mit dem Begriff der Entsprechung (Äquivalenz) verbunden. So hat J.I. Rezker die dritte Gruppe von Beziehungen zwischen den AS- und ZS-Einheiten als Trnasformationen bezeichnet. Die Transformation kennt ein enges Verständnis, kann sich aber auf den Übersetzungsprozess im allgemeinen erstrecken (erweitert werden?) (Sh. T. Levizkaja und A. Fiterman). W. Komissarow versteht darunter einerseits den Prozess, andererseits operationelle Verfahren, Kunstgriffe, und untergliedert die letzten in lexikalische, grammatische und lexikalisch-grammatische. Seine Klassifikation ist nicht eindeutig und nicht ohne Gegensätze. In der westlichen Übesetzungswissenschaft findet sich der Begriff der Transformation ziemlich (recht) selten. Dagegen ist dort der Begriff der Entsprechung geläufig. So bei Koller: Eins-zu-eins-Entsprechung, Eins-zu-viele-Entsprechung, Viele-zu-eins-Entsprechung, Eins-zu-Null-Entsprechung, Eins-zu-Teil-Entsprechung. Eine kompliziertere Klassifikation von Äquivalenztypen bietet O. Kade an (Sh. "Übersetzerische Äquivalenz").

Im Übersetzungsprozess kommt es zu verschiedenen Transformationen. Man unterteilt sie in 4 große Gruppen:

1. Transpositionen (Umstellungen): verschiedene Umgruppierungen, Satzfolgeände-rung, Veränderungen innerhalb des Satzes.