Übersetzerische Äquivalenz

Die Äquivalenz bildet eines der Hauptprobleme der Übersetzungswissenschaft. Darunter versteht man spezifisches Verhältnis zwischen 2 Texten - AT und ZT.

Das Problem der Äquivalenz (Invarianz) in der Translation ist auch deshalb von erstrangiger Bedeutung, weil mit ihm die Frage der Qualität einer Übersetzung aufs engste verknüpft ist. Einige Übersetzungstheoretiker vertreten die Ansicht, dass das Urteil über die Qualität einer Übersetzng subjektiv ist. Das rührt daher, dass, wie W. Wills schreibt (1977): "es der Übersetzungswissenschaft bisher nicht gelungen ist, ein hinlänglich detailliertes Faktoreninventar für die Messbarkeit der Äquivalenz von ausgangs- und zielsprachlichem Text zu entwickeln und an die Stelle eines hypostasierten, empirisch abegesicherten Äquivalenzbegriff zu setzen" (S. 157).

In diesem Zusammenhang entsteht das Problem der Invarianz oder der Invariante. Ohne Bezug auf die Übersetzung kann man die Invariante als das definieren, was bei allen Umformungen konstant, unverändert bleibt. Was bleibt denn bei der Übersetzung unverändert? In linguistisch orientierten Arbeiten zur wissenschaftlichen Erfassung der Translation wird die Invariante recht unterschiedlich dargestellt. So wird in vielen Fällen von 'Inhalt' oder 'Sinn' gesprochen. Fedorow nennt als Invarianten den 'Sinngehalt' und eine funktional-stilistische Komponente usw. G. Jäger hält diese sehr vage gefassten Begriffe für ungeeignet, weil sie nur eine Unbekannte durch eine andere ersetzen.

J. Albrecht verknüpft die Invariante der Übersetzung mit der Bedeutungs- oder Inhaltsseite der Sprache und über diese wiederum mit der "Welt", d.h. mit außersprachlich gegebenen Dingen und Sachverhalten.

Weiter basieren wir in erster Linie auf der Auffassung von O.Kade und G. Jäger. Das translatorische Grundproblem (Invarianz auf der Inhaltsebene trotz Kodierungswechsels auf der Ausdrucksebene) ist in erster Linie ein linguistisches Problem. Die Problematik der Translation resultiert daraus, dass bei der Umschlüsselung (d.h. beim Vollzug des Kodierungswechsels) im Bereich der parole (d.h. bei der Aktualisierung sprachlicher Mittel) auf der Inhaltsebene ein 1:1-Verhältnis zwischen AS-Elementen und ZS-Elementen erreicht werden muss, obwohl im Bereich der langue (d.h. in den Relationen zwischen AS-System und ZS-System) die Nichtübereinstimmung der semantisch-funktionellen Seite verschiedensprachiger Zeichen (der AS-Zeichen und ZS-Zeichen) die Regel ist.

Die potentiellen Äquivalenzbeziehungen zwischen AS und ZS sind durch die objektive Gegebenheiten beider Sprachen determiniert. Da die sprachlichen Fakten in AS und ZS kein Chaos bilden, sondern ein System darstellen, sind die Beziehungen zwischen ihnen ebenfalls systemhaft. Das System der potentiellen Äquivalenzbeziehungen ist der primäre gesetzmäßige Faktor in der Translation.

O. Kade bietet eine komplizierte Klassifikation von Äquivalenztypen an:

Äquivalenztyp I

1:1-Entsprechung auf der Ausdrucksebene und auf der Inhaltsebene (totale Äquivalenz) <hierher: Namen, geographische Bezeichnungen, Termini, Titel, Numeralia> Das 1:1-Verhältnis zwischen parole-Einheiten und langue-Einheiten innerhalb der AS und ZS und auch zwischen AS und ZS ist jedoch ein Sonderfall und keineswegs typisch.

Äquivalenztyp II

1:viele-Entsprechungen auf der Ausdrucksebene, 1:1-Entsprechung auf der Inhaltsebene (fakultative Äquivalenz)

Äquivalenztyp III

1:1-Entsprechung auf der Ausdrucksebene, 1:Teil-Entsprechung auf der Inhaltsebene (approximative Äquivalenz)

Äquivalenztyp IV

1:0-Entsprechung auf der Ausdrucksebene und auf der Inhaltsebene (Null-Äquivalenz). Hierher gehören der weiter oben behandelte Fall echter Begriffslücken, die etwa durch die Realia eines bestimmten gesellschaftlichen Milieus verursacht werden, sowie jene Fehlstellen, bei denen nicht die Bewusstseinsvorstellung bei den Sprachträgern, sondern lediglich ein festes Zeichen zur Auflösung des betreffenden Abbildes fehlt.

Die angeführten Hauptäquivalenztypen bei polysemen Zeichen (totale fakultative Äquivalenz, partielle fakultative Äquivalenz, approximative partielle fakultative Äquivalenz, totale und partielle Äquivalenz) treten in der Regel nicht in reiner Form auf. Die Äquivalenzbeziehungen zwischen Zeichen natürlicher Sprachen haben meist eine gemischte Struktur.

Die teilweise Deckung jedes der potentiellen Äquivalente des ZS-Systems mit dem potentiellen Wert der Form N des AS-Systems. Die Entsprechung des bei der Aktualisierung realisierten Wertes eines potentiellen Äquivalents der ZS einem oder einigen möglichen kontextualen Werten der Form N der AS, jedoch nicht allen. Die Beziehungen zwischen AS- und ZS-System:

(1) eine 1:1-Entsprechung, die totale fakultative Äquivalenz.

(2) eine partielle 1:1-Entsprechung (als Folge der Polysemie), die partielle fakultative Äquivalenz.

(3) Im Bereich der partiellen Entsprechungen auch approximative 1:1-Beziehungen: eine Kombination von partieller fakultativer Äquivalenz und approximativer Äquivalenz.

(4) eine 1:0-Entsprechung.

Aufgabe des Translators ist daher nicht die Auswahl einer ZS-Einheit für eine gegebene AS-Einheit, sondern das Erkennen und Anwenden jener im System der potentiellen Äqui-valenzbeziehungen objektiv gegebenen Relation zwischen AS-Zeichen und ZS-Zeichen, die die Invarianz auf der Inhaltsebene optimal wahrt.

Die Qualität der Übersetzung hängt davon ab, was als Invariante der Translation angesetzt wird. Das Problem der Invarianz ist naturgemäß ein zentrales Problem der Übersetzungswissenschaft überhaupt. In der traditionellen Übersetzungswissenschaft finden wir zwar immer wieder Postulate in bezug auf die Invarianz, aber bis heute wurde nicht geklärt, was in der Translation invariant sein kann und was invariant sein muss. Welche Invarianten in der Translation möglich oder notwendig sind, hängt selbstverständlich nicht von subjektiven Wünschen ab. Die Notwendigkeit bestimmter Invarianten ergibt sich aus der Funktion der Translation in der zweisprachigen Kommunikation, die Möglichkeiten werden durch die in der Kommunikation wirkenden Faktoren und durch das System der potentiellen Äquivalenzbeziehungen zwischen AS und ZS bestimmt.

Die Wahrung der Invarianz in der Translation setzt voraus, dass potentiell bei allen Indivi-duen im wesentlichen gleiche Abbilder der objektiven Wirklichkeit im Bewusstsein ausge-löst werden können. Da die Welt unbegrenzt erkennbar ist, ist auch jede im Zuge des Er-kenntnisprozesses auftretende Bewusstseinsvorstellung nachvollziehbar.

Die Wahrung der Invarianz in der Translation ist objektiv davon abhängig, ob mit jeder Sprache jedes Abbild kommunizierbar ist. In bezug auf das Denotat kann diese Vorausset-zung als empirisch erwiesen gelten.

Vom kommunikationswissenschaftlichen Standpunkt aus ist die Wahrung der Invarianz in bezug auf das Denotat ausreichend. Die Kommunikation bezieht sich auf ein Objekt (bzw. auf eine Objektrelation). Der Objetkbezug ist Ausgangs- und Endpunkt des Kommunikationsaktes.

Unter linguistischen Aspekt kann die Invarianz auf der Inhaltsebene auf die Beziehung zum Designat erweitert werden. Ferner sind auf der Ausdrucksebene Invarianten möglich: statistische (Häufigkeit und Distribution der Zeichen), strukturell-syntaktische und stilis-tische.

Im pragmatischen Bereich ist eine Invariante in den Reaktionen von Adressaten des L1-Textes und des L2-Textes anzusetzen.

Es dürfte außer Zweifel stehen, dass die Wahrung der Invarianz in bezug auf das Denotat die Mindestvoraussetzung für die Einordnung eines ZS-Textes in die Qualität Übersetzung (d.h. Translat eines AS-Textes) ist. Wenn wir den Grad der Entsprechung zwischen Über-setzung und Original als das entscheidende Kriterium für die Qualität der Übersetzung anerkennen, müsste sich ein optimales Translat durch Wahrung aller objektiv möglichen Invarianten auszeichnen.

Wenn man den Begriff der Invarianz für die äquivalente Übersetzung ansetzt, muss man auch berücksichtigen, dass der zu übersetzende Text neben den Invarianten auch variable Komponenten beinhaltet. Jeder Text bildet eine Gesamtheit von verschiedenen Arten des Inhalts. Man unterscheidet zwischen dem denotativen (od. referentiellen), signifikativen, interpretativen und intralingualen Inhalt.

Unter dem denotativen Inhalt versteht man die Beziehungen zwischen dem Zeichen und dem Gegenstand (Vorgang, Eigenschaft, also Erscheinungen der realen Wirklichkeit), der durch Zeichen bezeichnet wird. Sie (Den) nennt man Denotat oder Referent. Selbstverständlich werden dabei nicht einzelne Gegenstände (Vorgänge usw.), sondern eine ganze Klasse der gleichartigen Gegenstände (Vorgänge etc.) gemeint. Der denotative Inhalt ist sachlich, objektiv, unabhängig von der Subjektivität. Manchmal werden aber De-notate und Referenten einander nicht gleichgesetzt, man differenziert den Gebrauch dieser Termini: Während mit einem Denotat einen konkreten Gegenstand bezeichnet wird, be-zeichnet ein Referent eine ganze Klasse von Gegenständen.

Mit dem signifikativen Inhalt werden die Besonderheiten in der Widerspiegelung von De-notaten durch Menschen fixiert, die einer ethnischen Gruppe angehören und durch die ge-meinsame Geschichte, Kultur und Sprachtraditionen miteinander verbunden sind. Dieser Inhalt tritt neben dem denotativen auf. Seine Komponenten nennt man signifikative Kon-notationen. Man unterscheidet einige Arten:

1. feste Assoziationen: der Ochse steht für Dummheit im Dt., im Russischen ist das 'osiol'; der Schnee symbolisiert in beiden Sprachen den höchsten Grad der Weiße.

2. Bezug auf eine bestimmte historische Periode: Komsomol; Hitlerjugend

3. Ideologische Bewertung: Moskaus Hand (neg.)

4. Bezug auf soziales Milieu: der Lohn - das Gehalt - die Gage - der Sold

5. Expressive Färbung: reden - schwatzen; der Junge - der Grünschnabel; der Kopf - das Haupt - die Birne; die Zigarette - der Sargnagel; der Raucher - der Qualmer; die Disk-repanzen zw. Sprachen, vgl.: die Augen - глаза, очи, зенки, шары, буркалы

6. Situationsbezug: funktionelle Stile.

Der interpretative Inhalt bezieht sich auf den Interpreten, er hängt von der individuellen Deutung bei der Textproduktion und -perzeption (Wahrnehmung). Es gibt 4 Stufen der Interpretation bei der ZVK: I - bei der Produktion des Textes; II - bei seiner Perzeption durch den Übersetzer; III - bei seinem Ausdruck (Umkodierung) durch den Übersetzer; IV - bei der Perzeption durch den Adressaten. Hierher gehören verschiedenartige Anspielun-gen, z.B. die Phrase Sie haben nur nötige Informationen herausgepickt enthält eine An-spielung auf "Rosinen herauspicken", d.h. снимать сливки

Der intralinguale Inhalt ist durch die Beziehungen der Zeichen innerhalb des Systems eines Sprachkodes geprägt. Als Beispiel kann man die Gegenüberstellung aufgrund des Genus von Substantiven in der schönen Literatur anführen: der Mond und die Lotosblume bei H. Heine.

Der Anteil dieser Inhaltsarten im Konstituiren des Textes ist verschieden. Laut L.K. Laty-schew lassen sich die Komponenten des Textinhaltes folgenderweise hierarchisieren:

1. Invariante Komponenten: Sie dürfen nicht ausgelassen oder ersetzt werden.

2. Invariant-variable Komponenten: Sie dürfen nicht ersetzt werden.

3. Variable Komponenten spielen eine Nebenrolle in der Realisierung der Kommunika-tionsabsicht und dürfen ersetzt, ja ausgelassen werden.

4. Leere Komponenten beteiligen sich nur indirekt (mittelbar) in der Realisierung (Aus-lösung) des kommunikativen Effekts und sind kein Bestandteil des Inhaltes eines jeweilgen Textes. Das sind öfters grammatische Kategorien, Morphembestand des Wortes etc.

Die Komponenten der ersten Gruppe resultieren aus der Textfunktion und bilden die funk-tionelle Dominanten. Sie sind zugleich auch Dominanten der Übersetzung. Eine und die-selbe Komponente kann in einem Text dominant, im anderen aber leer, ohne Belang sein, z.B. das grammatische Geschlecht im Gedicht von H. Heine "Ein Fichtenbaum stand …" und in einem forstwissenschaflichen Text. Also, Invarianzforderungen werden am besten in Abhängigkeit von jeweiligen Übersetzungszweck aufgestellt. Der Übersetzungszweck hängt nun seinerseits von der Art der zu übersetzenden Texte ab; daraus resultiert die For-derung, dass der Wahl der im jeweiligen Einzelfall anzuwendenden Übersetzungsstrategie die Ermittlung des Texttyps vorauszugehen habe.